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Über Den Wolken

Eine Zeit geht zu Ende. Eine neue Zeit beginnt. Ich freue mich darauf, auf diese Momente zurückzublicken und sie vor meinem inneren Auge Revue passieren zu lassen. 

So wie meine vielen Ankunftsmomente, die ich in diesem Text beschreibe, werden auch weiterhin jeden Sonntag Geschichten von meinen bisherigen Reisen folgen. Sie alle bedeuten mir ein Stück konservierter Freiheit. Und ich hoffe, ein Fünkchen davon kommt beim Lesen auch bei euch an. 

Wolken. 


Wohin mein Blick auch fällt - nichts als Wolken. 


Ein paar Lücken sind drin, zugegebenermaßen. Nur um mich herum sieht es mehr nach einer Mondlandschaft, als nach Wolkenbergen aus. 


Und dann ist da das ewig anmutende Nichts zu meiner Linken. Wolkenfetzen ziehen daraus empor und verpuffen im Sonnenschein, sobald sie über den Grat wabern, auf dem ich sitze. Sie klettern eine Felswand hinauf, die wenige Zentimeter neben mir hunderte Meter in die Tiefe stürzt. Ein Schritt und ich fände wirklich heraus, ob es so etwas wie einen Gott gibt. Stattdessen beiße ich von meiner Not-Ration ab.  Meinen Lieblingsriegel, den ich mir die gesamte Fahrt aufgehoben habe. 

Ich Blicke auf den Sitz der Götter. 


Zeus-Thron, um genau zu sein. Zumindest wenn man den alten Griechen glaubt.

 

Doch so ganz ernst nehmen, kann ich das nicht. Ich meine… wie kann man eine Glaubensgemeinschaft, eine Religion ja eine ganze Gesellschaft auf den Glauben an einen Haufen Götter basieren, die besoffenen Superhelden gleichen und auf einem Berg wohnen, der nichtmal dreitausend Meter hoch ist, und nie nachsehen, ob sie wirklich da sind? 


Immerhin hab ich es an einem Tag geschafft. Und obwohl diese unfassbare Reise, zwei Monate voller Anstrengung, voll Freude, Ahnungslosigkeit, Aufregung und Lehren hinter mir liegen, fühle ich in diesem Moment, in diesem Moment in dem ich hier oben sitze, nichts als Euphorie. 


Doch so ist das nach so einer Reise. Es gibt sie nicht - Die Ankunft. 

Viel zu groß wäre der Augenblick, viel zu überwältigend die Emotion. 

Und so zerlegt es sich. 

Das Ankommen. 


In die schiere Freude, als ich vor vier Tagen über die griechische Grenze rolle. 


In das Verloren-Sein – das „was jetzt?“ – als ich auf dem Marktplatz Litochoro’s stehe – dem Städtchen am Fuß des Berges. 


Und in die alles erfüllende Melancholie, die mich umspült wie die Wellen der Ägäis, als ich am Strand sitze. Am Strand der mir wie kein anderer Ort spiegelt, dass diese Zeit nun ihr Ende nimmt.

 

Die feinen Körner gleiten mir durch die Finger und die Tränen übers Gesicht. Salzig fallen sie in den Sand. Und verschwimmen in den Wogen, die mir entgegenplätschern. Weit hinter ihren flachen Kämmen erhebt sich der Chortiatis aus dem morgendlichen Dunst. Er überblickt die Weiten der Bucht. Wie ein kleiner Bruder des Olymps, steht er da mit seinen drei Gipfeln. Darüber ein wolkenloser Himmel. Nur in weiter Ferne, sehe ich ihre dichten Decken den Horizont verstecken. 


Den Berg im Blick denke ich an den Berg der vor mir liegt. 


Das Ende meiner Reise. 


Den Olymp. 


Ich denke an den Energiestoß, der mich durchfuhr, als ich seine Gipfel das erste Mal sah. An das breite Grinsen und die Mühelosigkeit des restlichen Tages. 


Und daran, wie es wohl sein wird, ihn erklommen zu haben. Die Freiheit über den Wolken zu stehen. Selbst hinauf gelaufen zu sein - aus eigener Kraft. 


Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ob von der Ehrfurcht oder der sanften Brise - ich weiß es nicht genau. Denn auch an der Ägäis merke ich, dass der Herbst kommt. Noch hält die Sonne das Heft in der Hand, wie sie mir wärmend auf der Brust brennt. – Doch die orange durchzogenen Berghänge versprechen ein jähes Ende des Sommers. 

So sehr ich es mir auch in weite Ferne wünsche, kommt es doch unaufhaltsam auf mich zu. 

Das Ende des Sommers. 

Und das Ende meiner Reise. 


Lägen doch noch alle Strände der Welt zwischen mir und ihm. Diesem wolken-umwobenen Gipfel, der den Weg nach Hause weist. 


Doch so ist es nicht. Denn alles was gut ist, muss zu Ende gehen. 


Und was zu seinen Füßen schon alles zu Ende gegangen ist. Jahr für Jahr, in denen sich mächtige Reiche formten und wieder zusammenfielen. Religionen, Städte, Liebe und Leben. Und jetzt komme ich. 


Erklimme ihn, auf meiner Suche nach Freiheit. Vergessen werde ich es wohl nie. 


Doch für den Berg bin ich nichts. Eine Ameise auf seinem Rücken. Ein Sandkorn, das durch die Finger gleitet. – Wie auch für das Meer vor mir, die Wälder hinter mir und den Kontinent unter mir. 


Sie alle haben mich eins gelehrt. Die Freiheit zu wissen, keine Rolle zu spielen. Frei zu sein, von meinem Ego. Frei zu sein, von all den Erwartungen, die es denkt erfüllen zu müssen. Die Welt dreht sich nicht um mich. Sie dreht sich um die Sonne. 


Und ich – ich bin blinder Passagier, der glücklich genug ist, die Erde unter sich und die Sonne auf der Haut zu spüren


Mein Weg auf den Gipfel ist Zeugnis davon. Zeugnis davon, mich frei zu machen von meinem Ego. Immerhin bleibe ich wenige Meter unter dem höchsten Punkt sitzen und kümmere mich nicht weiter drum. Was macht das schon, ob ich nun hier oder dort bin. Es ändert nichts. Nur die Erzählung über mich. 


Und während ich dort sitze – über den Wolken, direkt unter Zeus-Thron – dämmert es mir. Auch mit Platz und Zeit und der Abwesenheit von Ängsten und selbst mit dem Überkommen meines Egos ist der Freiheit noch nicht genüge getan. Auf diesem Stein, auf dem ich nichts fühle als Euphorie – an nichts denke als den Moment – bin ich wirklich frei. Denn Freiheit braucht mehr als nur Platz und Zeit. 


Sie braucht das Hier. 

Und sie braucht das Jetzt. 


Zwei Fischreiher fliegen vorbei. 


Ein Wolkenfetzen löst sich in Luft auf. 


Ich gleite dahin und die Wolken unter mir hinweg. 


Ich bin nichtmehr am Strand. Nichtmehr auf dem Berg. Ich bin im Flugzeug und versuche zu verstehen, dass meine Reise nun zu Ende ist. In zwei-einhalb Flugstunden fliegt das Fleckchen Welt unter mir dahin, für dessen Durchquerung ich 59 Tage brauchte. So ganz kann ich sie nicht auseinanderhalten. Die Orte, Emotionen, Zeiten und Gedanken, die meinen Weg prägten. Doch wen kümmert schon die exakte Chronologie, wenn ich sie alle im Herzen trage.

 

Unsere Berge und Strände. 

Unsere Wege und Felder. 

Unsere Städte und Wälder. 


All die Orte, an denen ich mich wirklich frei gefühlt habe. Und all die Menschen, die mit ihren Geschichten dazu beigetragen haben, dass ich für mich herausfinden durfte, was Freiheit heißt. 


Und leben durfte. 


Sie ausleben durfte. 


Die Freiheit, jedes einzelnen Moments. 


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Kommentare: 3
  • #1

    Peter (Sonntag, 09 Oktober 2022 19:40)

    Wunderschön ,deine Gedanken zu lesen!

  • #2

    Petra (Montag, 10 Oktober 2022 08:43)

    So viele Tage voller Abenteuer, dann ersehnt und doch ein wenig gefürchtet der Zielpunkt.... Und dann der Abstieg, nicht nur im sprichwörtlichen Sinn, hinein in das Ende deiner Reise. Mögen dich die Momente, in denen du Freiheit und Glück empfunden hast, tragen, in den manchmal mühsamen Augenblicken, die das Eingebundenen in das "normale" Leben mit sich bringt. Vielleicht trägt die Erkenntnis der Winzigkeit unseres Daseins dazu bei, weniger Wert auf Unzufriedenheit im eigen Alltag zu legen und statt dessen die vielen kleinen Augenblicke bewusst wahrzunehmen, in denen wir Schönheit und Glück empfinden. Wie aneinander gereihte Perlen machen sie den ganzen Schatz im Leben aus.

  • #3

    John Idell (Donnerstag, 13 Oktober 2022 16:19)

    Lieber Julius! Also, das ist ja toll, das Du trotz aller Hindernisse, Missgeschicke und auch tollen Begegnungen es geschafft hast Dein Ziel, den Olymp, zu erreichen!
    Natürlich ergeben sich durch so eine Reise, Quatsch, ich nenne es ein Wahnsinns Abenteuer, eine große Menge an Erfahrungen, an Emotionen, an schöne Begebenheiten! Immer wieder Leute treffen, die man vielleicht nie mehr wiedersieht!
    Aber Du hast es geschafft und bist nun glücklich und Niemand kann Dir je diese wundervolle Erfahrung nehmen! Behalt sie für immer in Deinem Herzen und ich sage mal so, "Auf zum nächsten Abenteuer!" Danke, das ich Dich auf Deiner Reise kennen lernen durfte! John