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Zu Hause

Mit dem Ende meiner Reise findet mein Leben in Hamburg seinen gewohnten Gang. Alles ist eingespielt und alt bekannt. Und meine Füße wissen in der Regel besser als mein Kopf, welcher Ort gerade der beste für mich ist. Meine Stadt lädt mich ein, die Reise zur Erinnerung werden zu lassen. Und doch, will ich mir das ein oder andere bewahren.

Das gelbe Laub der Linden fällt mir entgegen. Darüber lassen blasse Wolken das Blau verschwimmen. Mit dicker Jacke liege ich auf den Kai-Mauern der Kuhmühle, den Blick in den Himmel gerichtet.

Nachdem ich zwei Monate vor ihm hergefahren bin, ist er nun da – Der Herbst.

 

Seit zehn Tagen bin ich wieder zu Hause. 

Zu Hause, in Hamburgs vertrauten Gefilden. 


Wo es sich anfühlt, als würde ich jede Straße kennen. Als hätte ich alles gesehen. Wo alles stillzustehen scheint. Alles gleich geblieben ist. Ich laufe den Kanal entlang und gebe mich der Umarmung der Vertrautheit hin. Die letzten Zugvögel fliegen gen Süden und die U3 rattert über die alte Stahlbogenbrücke. Ein Kayak zieht eine weiß-glitzernde Heckwelle hinter sich her. 


Den Cappuccino meines Lieblings-Cafés in der Linken und meine Tagebücher in der Rechten, finden meine Füße ihren Weg von ganz allein. Vorbei an den gleichen Läden und Häusern, an denen ich schon so oft vorbeigelaufen bin. Entlang altbekannter Bäume, auf denen die Reflektion der Wellen wogt. Alte Freunde, stillschweigend wartend auf meine Wiederkehr. Oder habe vielmehr ich darauf gewartet zu ihnen zurückzukommen? 


In Gedanken versunken realisiere ich, dass auch hier die Zeit nicht still stand. Anstelle von tiefgrünen Efeu-Ranken strahlt mir in der Hartwicus-Straße eine weiße Putzfassade entgegen. Rein und ordentlich fällt das Leben der Effizienz zum Opfer. Die alte Tankstelle ein paar Meter weiter steht auch nichtmehr. Es wurde Platz geschaffen. Für die falschen Dinge, wenn ihr mich fragt. 

Sankt Getruds Glocke schlägt vier mal als meine Füße vor meiner Kai-Mauer stehen bleiben. Einer dieser Orte, an denen ich Ruhe finde. Meine Gedanken schweifen lasse, fast wie auf den Steinen kroatischer Strände. Eine Rarität in der Stadt. Ein Geschenk, das ich ein ums andere Mal mehr zu schätzen weiß. 


Wie ich auch die vielen Kleinigkeiten zu schätzen weiß, die mein zu Hause mit sich bringt. Wie das Gefühl der kalten Luft, die am Morgen in mein Zimmer strömt und sich auf meine Schultern legt. Und das Gefühl, wenn ich die Decke hochziehe und mich noch einmal umdrehe. Der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee. Und der Geschmack von knusprig-klebrigen Franzbrötchen. Das sich Hinsetzen. Auf Stühlen! Das Gefühl von Essen, das keine Außentemperatur hat, sondern kalt oder warm ist. Von Joghurt. Und Lasagne. Vom Kochen. Mit mehr als einer Flamme und einem Topf. Und über allem das Gefühl von Freunden und Familie umgeben zu sein. Das Gefühl von Umarmungen. Von schlechten Witzen und guten Gesprächen. In denen ich erfahre, was sie die letzten Monate getrieben haben. Und dass die Zeit ganz und gar nicht stehen geblieben ist. 


Immer wieder denke ich an einen Satz von Maxim, der mir seit meinem Zwischenstopp in Wien – auf dem Rückflug, nicht während der Radreise – durch den Kopf geht. 


„Wie ein Messias stolperst du durch die Welt und lädst alle Menschen zu Liebe ein.“


Wahrscheinlich eins der schönsten Komplimente, die ich je gehört habe. Ein Kompliment, dass ich mir zu Herzen nehmen will. Ein Kompliment, dass zu einer Aufgabe wird. Denn wieso sollte ich nur auf Reisen zu Liebe einladen? Wieso nicht auch zu Hause mit dieser Ausstrahlung durch die Welt gehen. Zu Liebe einladen… 


Ein Blatt segelt aus meinem Blickfeld. Fast fühlt es sich an wie in der Hängematte. Nur die Kälte der Steine und das Holpern der U-Bahn verraten wo ich bin. Ich setze mich auf und sehe wie sie hinter den Bäumen verschwindet. Ihre eingeschalteten Lichter spiegeln sich lang im schwarzen Wasser des Kanals. Wie ein goldener Bar-Code, der durch die Nacht gleitet.

 

Auch hier kann ich mich im Moment verlieren. 


Es ist nur schwieriger ihn mir nur nehmen.


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Kommentare: 2
  • #1

    Peter (Sonntag, 16 Oktober 2022 19:58)

    Oh wie schön und was für ein großartiges Kompliment von Maxim.
    Julius Du bist einfach Großartig!
    Wir lieben Dich sehr !

  • #2

    Tina Eggers (Sonntag, 16 Oktober 2022 21:59)

    Zum ersten Mal einen von deinen Texten gelesen -berührt und mitten drin! Danke und sehr schöne Worte! LG