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Zugvögel

Jetzt wird er wahr, mein Traum einer Radweltreise!

Doch was hat mich hierher gebracht?
Und welche Worte sind die richtigen, meinen Weg zu diesem Traum zu beschreiben?

Diese Fragen haben mich viel beschäftigt, in den letzten Wochen. Und meine Antworten darauf findet ihr hier.
Zumindest ist es der Versuch, meinen Lebenstraum in Worte zu fassen.
Denn die Essenz davon zu treffen, ist garnicht so einfach, wenn man selbst mitten drin steckt und das Leben einfach weitergeht… 

Aber lest selbst, wenn ihr euch fragt, wie ich auf diese Idee kam.

Grünes Zwitschern liegt zwischen den Zweigen. Den Blick im Himmel, lasse ich Gedanken treiben – wie Vögel vor den Wolken; mit sanftem Schlag, schnell und aufgeregt oder völlig losgelöst über allem gleitend. Es ist März und die ersten Störche kehren zurück. Auf warmen Winden schweben sie weit oben über der Welt. Was sie wohl erlebt haben, auf ihren Reisen? Wie es sich wohl anfühlt, da oben – wo zwischen Wolken und Vögeln meine Gedanken vorbeiziehen?

 

Der Traum vom Fliegen ist so alt wie die Menschheit. Zumindest habe ich das mal gelesen und finde die Vorstellung ziemlich plausibel: Dass die erste Äffin mit Bewusstsein ihren Blick in den Himmel richtete und sich fragte, wie das wohl wäre – mit den Vögeln dahinzugleiten.

Welche Leichtigkeit das wohl wäre?

 

Dabei mag ich das, was wir heute unter Fliegen verstehen, garnicht. Flugzeuge meine ich. Nicht weil ich Angst dabei hätte. Ganz im Gegenteil: Es ist nur so unfassbar langweilig. Die schlechteste Form des Reisens, wenn es nach mir geht – wie kaputte Teleportation. Gleichförmige Orte auf der ganzen Welt, an denen wir in langen Schlangen ewig warten, um eingeengt und klimatisiert bei schlechtem Essen zu sitzen. Zu sitzen und zu warten, bis wir ankommen. Während das Wunder des Weges, der unter uns liegt, leise versiegt.

 

Natürlich sind das nur meine Gedanken – und ich möchte niemandem den dringend nötigen Urlaub schlecht reden. Und natürlich gibt es auch beim Fliegen hin und wieder einen spannenden Ausblick über modellhafte Miniaturwelten, der unsere Fantasie in die Wolken hebt, wenn ich selbst im Alu-Giganten zwischen ihnen schweb.

Doch was sich für mich vielmehr nach Fliegen anfühlt, ist das Fallen. Fallen wie Klippenspringen, wenn mich die Umarmung der Wellen empfängt. Oder wie kopfüber aus dem Flugzeug – bis der Fallschirm sich öffnet. Das sind Momente der Schwerelosigkeit, in denen das Leben durch die Ohren rauscht.

Im Grunde genau wie beim Radreisen.

 

Denn es ähnelt sich sehr, das Lebensgefühl meiner Reisen mit dem Moment des Fallens: Beide so einzigartig erfüllend, berauschend und befreiend, dass die Schwere der Welt von meinen Schultern fällt.

Nein, dass ich ihr entfalle.

Der Schwere, nicht der Welt. Im hier und jetzt verloren und doch wohl geborgen. Im Vertrauen darauf, dass sich der Weg unter mir auslegen wird, zumindest solange ich ihm ausreichend Potenzial dafür gebe. Und mir den Raum nehme, ihm zu folgen. Es ist eine Weltsicht, die ich lernen will, auf mein ganzes Leben zu übertragen. Und deswegen will ich den Absprung wagen.

 

Den Absprung in die anhaltende Freiheit des Moments. Die Freiheit in der Gedanken treiben – mit sanftem Schlag, schnell und aufgeregt und völlig losgelöst über allem gleitend.

 

Dem gegenüber waren meine Reisen eine Freiheit, die ich auf Zeit genoss. Ein Fenster, das sich öffnete und wieder schloss. Zwei Monate auf dem Rad, drei zu Haus, vier im Van, um kurz den Frühling zu begrüßen. Dann von vorn. Ein Fenster Freiheit. Doch habe ich nun so viel Zeit mit geöffnetem Fenster verbracht, dass ich rausklettern will.

Wie sich das Fallen wohl anfühlt, wenn es keinen Fallschirm, dafür aber auch keine Landung mehr gibt?

 

Dieser Frage will ich endlich auf den Grund gehen: Mit meiner Radweltreise für den Storchenschutz.

 

Doch wie kam mir diese Idee eigentlich? Selbst mit viel Zeit, fällt es mir nicht leicht, diese Frage zu beantworten... Denn wie alles, was gut ist, ist auch sie organisch gewachsen.

Wo der Ursprung von allem liegt, scheint wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Doch wann es konkret wurde, das weiß ich noch:

 

Bereits 2021, auf meiner ersten Radreise von Hamburg in die Bretagne, fragte ich mich, wie es wohl wäre, wenn ich einfach weiterfahren würde. Einfach weiter Richtung Süden und Westen. Weiter, bis Europa hinter mir läge. Doch stattdessen ging es zurück nach Hause. Zurück, nur um ein Jahr später nach Südosten zu radeln. Weiter zwar, aber nur an die Grenzen des Kontinents – nicht darüber hinaus. Trotzdem lernte ich viel auf diesem Weg. Vom vertrockneten Land, alternativen Lebensrealitäten und von der Freiheit des Moments. Ein weiteres Jahr verging und ich fuhr wieder los. Diesmal nach Nord-Osten – und sammelte zum zweiten Mal Spenden. Diesmal für den Moorschutz. 4.200 Kilometer fuhr ich in zwei Monaten. Eine halbe Ostseeumrundung und eine ganze Menge Spaß - was sprach eigentlich dagegen, das wirklich mal ohne Zeitlimit zu machen?

Noch ein Jahr später brach ich zum vierten Mal auf. Viel war in der Zwischenzeit passiert. Zu viel, um es hier zu erzählen. Doch hatte ich die Frage im Kopf, ob das noch das richtige für mich war. Radreisen meine ich – und fallen... Will ich das noch? Mich diesem Wahnwitzigen Lebenstraum hingeben? Konnte ich es noch genießen, nach all dem, was sich inzwischen damit verwoben hatte? Zwei Wochen durchquerte ich Deutschland. Radelte von einem Dialekt in den anderen, bis die Alpen vor mir in den Himmel wuchsen. Und mit ihnen die Antwort auf meine Frage:

Ja, ich will!

 

So könnte ich das Versprechen mir selbst gegenüber zusammenfassen. Mein Lebenstraum sollte wahr werden. Auch wenn ich mir keine zwei Wochen später die Hand brach und zumindest diese Reise nach halber Strecke endete.

 

Doch an meinem Traum wollte ich festhalten. Einfach fahren, bis die Grenzen des Machbaren hinter mir lägen. Weiter und weiter, bis die Lücke in meinem Lebenslauf so groß wäre, dass sich einfach etwas Neues aus ihr ergeben musste.

Nur wohin? Und Wofür?

 

Immer weiter nach Süden und Westen – immer weiter bis Afrika. Dieser Weg stand praktisch schon auf meiner ersten Radreise fest. Durch Europa bis ans Ende der mir erschlossenen Welt und auf einen Kontinent, über den ich auch mit 28 viel zu wenig weiß. Eine Reise in die Ferne... Eine Reise, die eine Verbindung zwischen dem schafft, was ich im weitesten Sinne als zu Hause begreife – Europa – und dem Rest der Welt.

 

So kamen mir die Störche in den Sinn, die gerade über mir dahinzogen.

Diese faszinierenden Vögel spiegeln vieles wider, was mir von Bedeutung ist. Die Verbindung zwischen Mensch und Natur und die Faszination des Fremden. Das Reisen und das wiederkehren. Eine inspirierende Geschichte des erfolgreichen Naturschutzes. Und die beflügelnde Fantasie, mit der wir das beschreiben, was wir nicht verstehen.

Und neben all dem, stehen sie auch noch stellvertretend für eine der schönsten Naturlandschaften, meiner Heimat:

Die Feuchtwiesen.

Da kann es kaum Zufall sein, dass Störche Jahr für Jahr durch Europa und bis Afrika ziehen – genau die Richtung, die ich ohnehin schon lange einschlagen wollte. Heimisch in zwei Welten, sind sie fantastische Grenzgänger, denen wir seit jeher die größten Gaben zuschreiben.

 

Es sind viele Gedanken und Gefühle, die dieser Reise zu Grunde liegen. Vielleicht zu viele... doch ziehen sie alle mich gemeinsam fort. Und auch wenn ich mir Antworten auf all meine Fragen erhoffe, ist eine doch die wichtigste:

Folge ich den Störchen auch auf ihrem Weg zurück, oder führt mich diese Reise weiter als zurück nach Haus?


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