Im Fluss

Warum ich diese Reise mache, das habe ich im letzten Text beschrieben. Aber was bedeutet sie mir? Was bedeutet mit Reisen? Und wonach suche ich? Darum geht es in diesem Text.

Mein Atem fließt, wie die Bewegung meiner kreisenden Beine.

Auf und ab – ein und aus. So spüre ich wie Lebensenergie in mich strömt. In Brust und Bauch, in Kopf und Fingerspitzen. Spüre das Kribbeln, das stets beweist, dass ich am Leben bin. Spüre, wie es meine Stirn von Sorgen befreit und „Reise“ hinter meine Ohren schreibt. Wie alle Last mit alter Luft aus meiner Lunge weicht.

Ich bin hier, ich bin jetzt - ich hab Zeit.

 

Es klingt so leicht und wahrscheinlich sieht es auch danach aus.

Radreisen. Job kündigen und auf! Auf ins Ungewisse, mit Plan aber ohne Ziel. Oder ist es doch andersrum? Im Grunde will ich doch lernen, beides gehen zu lassen. Wird mir die Zukunft doch stets zu viel. Unreal und ausgedacht, ist’s Gesterns Schmerz, der Angst vor Morgen schafft.

Angst nichts zu erreichen. Nicht zu reichen.

 

Zwanghaft schon verkrampft sich mein Sicherheitsbedürfnis auf der Suche nach noch einer Option. Eine Option für nach der Reise – irgendeine, irgendeine. Zurück ins Büro, Studium, Ausbildung oder Entwicklungshilfe… egal auf welche Art und Weise, Hauptsache Beständigkeit schaffen. Wissen wo es hingeht. Gewissheit darüber, dass alles geregelt ist. Geplant, ordentlich und klar. Und für immer bleibt, wie es nie war.

Es könnt ja garnicht gut gehen, wenn man nicht plant und kämpft und gegenanrennt. Dann würd ich ja in Stillstand treiben, statt den Weg zu meinen Träumen zu bestreiten.

Aber ist das wirklich wahr?

 

Sind meine Reisen nicht der Gegenbeweis? Dass ich mich bewusst dem Strom hingeben kann und dabei genau die Uferabschnitte anpeile, die meine Hoffnungen bereithalten? Genau das ist einer der Gründe, aus denen ich immer wieder Reise. Um mir die Wirksamkeit dieses Mechanismus zu beweisen. Dieser Lebensweise.

Ein ums andere Mal.

 

Wie jetzt gerade, wo ich erst durchs Sauerland und dann durchs Bergische radle. Einem Ziel entgegen, das in so weiter Ferne liegt, dass niemand wissen kann, was sich auf dem Weg ergibt. Also genieße ich diesen aus tiefstem Herzen. Keine Zukunftsangst, keine aus gestern genährten Schmerzen.

Nur hier und jetzt.

 

Und hier und jetzt ist mir heiß. Trotz stetigem Atem, trotz allem im Kreis, ists heiß und das ist nicht schlecht aber anstrengend. Wie gut, dass gerade eine Brücke meinen Namen ruft.

Ich sehe sie noch nicht, weiß aber, dass sie kommen wird. Ein paar Meter noch und dann… ja dann gleitet sie auch schon in mein Sichtfeld und ich freue mich sofort darüber, was sie bereithält. Einen Sprung aus 14 Metern: nicht nur erfrischend, sondern belebend.

Während ich mich ans Gitter begebe, frage ich mich, wie metaphorisch das gerade ist. Die Grenze des erlaubten, des denkbaren zu überklettern. So leicht eigentlich. Am Abgrund zu stehen und den Schritt zu gehen. Der mir hier zwar keine Flügel wachsen lässt, doch Angst vor dem Aufprall muss ich auch keine haben.

Es einfach zu wagen. Zu fallen und mich dem Strom hinzugeben.

 

Denn immer wenn ich zurückblicke wirkt es, als hätte der Fluss bereitgehalten, was gut für mich war. Ein ums andere Mal stolperte ich über Orte und Menschen, die mir so viel schenkten. Konnte ich Energie in Projekte stecken, die sich mir offenbarten. Egal ob Mujala oder Lubljana, ob Djigga oder Jan.

Konnte ich doch immer Energie ziehen aus jedem Gespräch, das sich einfach so ergab.

Momente, die mir zufielen.

Kein Automatismus, kein Determinismus, weil ich mich auch hätte entscheiden können, sie zu verneinen, denn… ist nicht das Äußere stets Spiegel dessen, was in uns ist?

Ja oder nein zu sagen, zum Unbekannten, das vor mir liegt, ist meine freie Entscheidung.

 

Und so ists weder Zufall noch Schicksal, wenn mich im richtigen Moment genau dieser Mensch trifft, der mir grad das zu sagen hat, was für mich wichtig ist.

 

Seit Jahren teile ich nun diese Momente, im Großen und im Kleinen. Teile sie, um zu zeigen, was sie für uns bereithalten. Oder zumindest für mich. Die flüchtigen Momente des hier und jetzt, so häufig versetzt.

Eingetauscht, gegen die Erlösung in der Zukunft. Ja, dann wird alles gut…

Gewissermaßen ist auch meine Radreise dazu geworden. Zur Erlösung… Zum großen Schritt, der mir endlich erlauben wird das Gitter zu übersteigen, zu fallen und zu treiben.

Jetzt ist sie da und langsam komme ich an.

Doch brauchte ich dazu wirklich die Reise? Zum Ankommen im hier und jetzt? Brauchte ich dafür all die Reisen davor? Immerhin zeigten sie mir, dass das überhaupt eine Option ist. Zu treiben, ohne still zu stehen.

 

All das zieht Kreise in meinem Kopf, wie meine Beine auf den Pedalen, wie meine Reifen auf Schotter und Asphalt. Will mich austauschen mit Menschen, in denen das Leben gerade gleiche Kreise malt. Und während die grünen Hügel weiter an mir vorbeiziehen, merke ich, dass mich die heutige Hitze nicht allzu weit fahren lassen wird. Werfe einen Blick auf die Karte und sehe Bonn. Mitten in meiner potenziellen Schlafzone. Wildcamping ist wohl ausgeschlossen, in Deutschlands alter Hauptstadt – die ich noch nicht kenne.

Also noch 20 Kilometer darüber hinaus fahren und heute doch noch über die 100 kommen? Oder auf die Stadt zutreiben?

Gelenkt von nichts als einem Gefühl, gebe ich der Stadt eine Chance. Kenn ich dort jemanden? Noch nicht, aber meine beste Freundin – und ihr Kumpel hat Zeit und Platz. Chillig, denke ich und kaum zwei Stunden später bin ich da.

 

Und als wäre es geplant gewesen, können wir reden. Über alles, worüber ich gerade nachdenke. Als wären wir genau dafür verabredet, beschäftigen Jan die gleichen Themen wie mich.

Vom Moment, vom Absprung, vom Treiben.

 

Einen Tag später liegen wir im Fluss. 34 Grad. Flach strömt uns das Wasser um die Schultern und über die Brust, während wir im glatten Kiesbett liegen. Wie kühlender Rückenwind fließt es durch uns – das klare Wasser.

Das Leben…

 

Grüne Ufer, auf all meinen Wegen. Grün und erfüllt vom Vogelgesang, zahlloser Arten, die ich nicht zuordnen kann. Umso schöner, denn so bleibt ein Hauch Mysterium erhalten. Lässt die Berührung des Unbekannten walten. Während sich Sonnenstrahlen schillernd in den Wellen spiegeln –reflektiert aufwärts fallen – tausendfach facettenreich entfalten, springen sie von Blatt zu Blatt und auf die Äste, in denen unbekannte Vögel singend sitzen. Lässt ihr Licht alles vielfach blinken und blitzen. So entsteht er schon, der scheinbare Widerspruch, in dem das Wasser im Strom die Blätter mit Licht bescheint, die ebendies mit Schatten bedecken.

Die fließend-weiche Reflektion des Sonnenlichts im Geäst des Lebens. Weit schöner, als die Sonne selbst.

Wasser und Leben, Bewegung und Licht.

 

Wonach noch streben, außer zu sich?

 

Doch wieso reise ich dafür? Reise in weite Ferne – ist das ein oder der Weg zu mir? Es scheint meiner zu sein.

 

Und was soll das überhaupt bedeuten? Zu mir? Ich weiß nicht, was das sein soll, oder wo, doch kenne ich den Weg, da bin ich mir sicher.

Oder kannte ich ihn... Kam auf Abwege, durch zu große Veränderungen, längst nicht abgeklungen und doch bin ich jetzt wieder hier. Zurückgefunden, auf meinen Weg, von dem ich weniger als je zuvor weiß, wo er enden wird.

 

Davon lese ich eine Woche später im gemütlichen Klein Bettingen. Vom sicheren Weg zu unbekanntem Ziel. Ein Fährtenleser weiß davon ganzschön viel…  Klein Bettingen, das ist ein ruhiger Fleck Erde, der sich an die Grenze zu Belgien schmiegt und doch gerade noch so in Luxemburg liegt. Einem winzigen Land, über das ich nichts wusste, was über das Lux in Benelux hinausgeht.

Grund genug, mehr herauszufinden. Ein klein wenig mehr zu verstehen, über einen kleinen Fleck, der so unscheinbar wirkt – zwischen Ländern wie Frankreich und Deutschland.

Und so führt mich eine Einladung auf Pizza hierher. Eine Einladung auf Pizza und die ersten 1.000 Kilometer dieser größten Reise meines Lebens. In den letzte Anrainerstaat an mein Mutterland, den ich noch nicht mit dem Rad erschlossen hab.

Fahre von Bonn über Rhein, Eifel und Mosel hierher und kaum bin ich angekommen, versinke ich mehr und mehr. Versinke in der Gastfreundschaft und Ruhe, in guten Gesprächen mit weiteren Menschen, die sich nichtmehr der Illusion hingeben, dass das Leben definierte Ziele braucht. Oder zumindest lernen zu vertrauen darauf, dass es ohne sie viel besser geht. Vertrauen in den Weg…

 

Nicht ambitionslos, sondern frei vom getrieben sein.

Permakultur und Gemeindemarkt. Kostenloser Nahverkehr, Agroforst, Pizzaofen und begrünte Gleise. Gemeinschaft und Kultur und viele gute Dinge, auf eine Art und Weise, die unsere Welt ein bisschen besser macht.

Jedenfalls, wenn man mich fragt.

 

Sicher ist es überromantisiert und nicht repräsentativ. Sicher wurde ich von den liebsten Menschen im ganzen Land eingeladen, die rein zufällig genau die Art von Projekten umsetzen, die ein harmonisches Zusammenspiel von Mensch und Natur ermöglichen. Sicher habe ich mir die positivste Deutung über dieses kleine Land angeeignet, die nur aus meiner ungerichteten Erwartung erwachsen konnte. Und der Offenheit das Beste auf mich zukommen zu lassen. Sicher ist Luxemburg eigentlich ganz anders.

 

Aber für mich ist es ein ein kleiner Fleck, den ich nicht kannte, obwohl ich wusste, dass es ihn gibt. Obwohl er immer so nah war. Ein Fleck, der nur deshalb auf meinem Weg liegt, weil ich es wollte. Und der mir deshalb genau das hinhielt, was ich brauchte. Wie Bonn. Wie all meine Wege durch Europa. 13.000 Kilometer.

Wie das Leben. Wie diese Reise zu mir.

 

Und Gambia? Vielleicht verhält es sich damit ja wie mit Panama… Janosch… ihr wisst schon. Handliche Weisheit.

Erstmal, geht es für mich  jetzt aber weiter in diese Richtung – und Gambia und ich, wir scheinen einen Weg zu teilen.


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